Indien mit einer reichen Tagesfülle

März 2023

 

Wenn ich mit meinem Ambulanzauto von meiner Wohnung in das Krankenhaus fahre, ist dies stets ein staunenswertes Abenteuer. Kühe trotteln gemächlich auf der Straße, in allen Richtungen ausscherend und werden geduldig von den Fahrzeugen umschifft. Ziegen und Hunde rennen dazwischen einher, ein Moped ist oft mit vier Personen besetzt, wobei sich Mitfahrer nicht festhalten, die Mutter ein Kind im Arm. Die Straßen sind löchrig und verstopft, so dass auf Lücke gefahren wird und es stets ein Wunder ist, wenn man heil auch an seinem Ort ankommt. Busse mit Passagieren auf dem Dach, Lastwagen stets überladen, dem Umkippen gleich, rattern mit hoher Geschwindigkeit durch die überfüllten Straßen, so dass man rasch am Rand stehen bleibt, um nicht angefahren zu werden. Es scheint keine verbindliche Straßen Regeln zu geben.

Bevor die Krankenhaus-Ambulanz beginnt, schaue ich erst nach unserer Apothekerin, die nun als Patientin bei uns ist, nachdem sie auf dem Weg zu uns in der Toto-Rikschah von einem Auto angefahren wurde, der Fahrer sei wohl kurz eingenickt. Dabei hat sie sich am rechten Ober- und Unterschenkel einen Trümmerbruch zugezogen. Sie wurde in einem guten Krankenhaus operiert und liegt nun bei uns, wo wir sie gut pflegen und täglich ermutigen, dass sie sicher wieder auf die Beine kommt.

Kuh-Urin und Leistenhernie - was im Arztzimmer alles geschieht...

 

 

Als erstes erscheint Father Anthony, der Patienten und eine eingepackte Marienstatue bringt. Gleich kommt auch der Landwirt Srikanta, mit Neugeborenen und Müttern aus vier Dörfern zur Vorsorge. Er betreut landwirtschaftlich 30 Dörfer, aus denen er uns täglich die Neugeborenen bringt, daneben seine Dorfhelfer und Sozialarbeiter, die diese Kinder im Dorf betreuen und genau zuschauen wollen, wie ich die Kinder untersuche. Es ist stets eine Freude, wenn ich ihnen die verschiedenen Reflexe und Entwicklungsstadien erkläre. Nun packt er aber erst mal vier Töpfe aus, wo frittierte Blüten und gedünstete Frucht-Schoten sind, welche für eine besser Resorption der Eisenmedikamente sorgen sollen. Wir müssen erstmal probieren!! Gleich kommt von uns ein Dorfhelfer herein, der die anstehende Entenzucht im Dorf mit Srikanta besprechen will (die Kinder und Mütter sind mangelernährt und brauchen mehr Eiweiß, so sind die Eier der Enten als eine gute Eiweißquelle gedacht).

Wir hatten einen kleinen Jungen zum CT angemeldet, da wir einen Tumor am Auge vermuten. Er kommt jedoch nicht, da es draußen regnet, das ist natürlich ein Hindernisgrund, sich auf den Weg zu machen... Wir insistieren, der Vater soll mit Schirm auf dem Fahrrad sein Kind dringend bringen!! Nun kommt Nilu, unser Farmer, der für die Gemüsegärten in unseren Projektdörfern zuständig ist herein und meldet, er habe keinen Kuh-Urin bekommen, um den Dünger für die Gärten anzusentzen... Ich erwidere, es seien doch so viel Kühe auf der Straße...

Die Gemüsegärten sind besonders für unsere mangelernährten Familien gedacht, um die karge Reismahlzeit mit Gemüse und Obst anzureichern. Der nächste kleine Patient hat eine eingeklemmte Leistenhernie und weint vor Schmerzen. Die notwendige Operation wird erstmal abgelehnt, da der Vater sein Einverständnis geben muss, also die Mutter wieder nachhause geht und es bespricht. Sie kommt die nächsten Tage nicht. Wir müssen sie im Dorf aufsuchen und die Not nochmals erklären.

Am Nachmittag ins Dorf

 

Am Nachmittag gehen wir in ein Santal-Dorf und unter freiem Himmel halten wir auf dem Dorfplatz bei 36 Grad zwischen Ziegen und Hunden die Sprechstunde ab. Nebenher gibt Nilu den wartenden, auf dem Boden sitzenden Müttern eine Fortbildung über Heilpflanzen und will am nächsten Tag aus einer Baumfrucht eine Seife mit den Müttern herstellen.

Das erweist sich als sehr praktisch, da viele Kinder Läuse haben und auch Mütter mit ihren langen Haaren davon betroffen sind. Sie haben oft keine Seife, geschweige denn Shampoo oder Zahnpasta in den Hütten. Wir wollen den Läusen erst mal mit einer Paste aus Neem-Blättern und Turmeric (Gelbwurz) beikommen, dann kann die selbstgemachte Seifennuß das Übrige tun!

Hinwenden zum Kind... - neben aller Arbeit...

 

Alle Kinder unter zwei Jahren bekommen täglich eine Eisenmedikation und einen Kindergetreidebrei von uns, jedoch scheint das Abzählen der verordneten Eisentropfen schwierig. Am Ende der Sprechstunde lädt uns eine Mutter zu sich in die Hütte ein, um ihre Schlangen zu begutachten… Oh nein danke - wir lehnen höflich ab!!!

Hilflos vor die Türe gelegt...

 

Am nächsten Morgen liegt vor unserem Eingang eine Frau mit einem aufgeschwemmten Bauch (Ascites) und ganz dünnen Armen, abgemagert und ganz schwach. Sie wurde gerade aus dem Regierungskrankenhaus ohne Therapie fortgeschickt. Hilflos hat sie jemand uns vor die Türe gelegt. Wir erfahren, dass sie an Tuberkulose leidet, jedoch ihre Medikamente nicht nimmt. Zur akuten Versorgung fahren wir sie mit unserem Ambulanzauto nach Kalkutta, wo wir unsere schwer kranken Patienten stets in einem christlichen Krankenhaus versorgt bekommen.

Wir nehmen noch einen jungen Mann mit, der wegen einem Tumor im Nasen- und Rachenraum nicht mehr essen kann und ganz abgemagert ist. Seit zwei Jahren hat er diesen Tumor und war noch nie bei einem Arzt! Die Mutter ist dabei und wirkt wie ein Häuflein Elend, sie hat kein Einkommen, da ihr Mann verstorben ist und sie ebenso krank ist. Sie können es gar nicht fassen, dass ihnen nun geholfen wird.

Tuberkulose bei den Kindern

 

Ebenso fassungslos sind wir, als ein 2-jähriges Kind, bewusstlos auf dem Arm der Mutter kommt, und nur ganz schwer atmet und kaum reagiert. Es hat eine Magensonde, wo die Medikamente verabreicht werden sollen. Gestern wurde es aus dem Regierungs-Krankenhaus entlassen, nachdem es vier Wochen eine Tuberkulosebehandlung bekam. Es zeigt eine ausgedehnte Lungentuberkulose mit Hirnhautentzündung. Außerdem ist das Kind ganz ausgetrocknet, da die Eltern kein Geld haben, Milchnahrung für das Kind zum Infundieren zu besorgen… Auch diesen tragischen Fall verlegen wir sofort in unser Referenzkrankenhaus nach Kalkutta.

Das Krankenhaus füllt sich...

 

Bei uns füllt sich das Krankenhaus mit vielen kleinen Kindern, die schwere bronchiale Infekte haben und inhalieren müssen und dringend therapiert gehören. Manchmal erscheint auch nur ein älteres Geschwisterkind mit dem Jüngeren auf dem Arm, da die Mutter auf dem Feld arbeitet. Die Mangelernährung lässt ihnen nicht viele Abwehrkräfte. Auch finden wir wieder einige Kinder mit Herzfehler, was auch mit der Mangelernährung und Anämie der Mütter zu tun hat. Zwischendurch sitzt auch einmal ein ungebetener Patient an der Türschwelle des Krankenhauses, ein großer Affe… Alle staunen ihn an, er uns ebenso…, dann verschwindet er wieder - ohne Affentheater.

Schöner Erfolg für Mansumi

 

Mansumi, nun 15-jährig, leidet seit ihrem sechsten Lebensjahr an einer Myelitis und ist spastisch gelähmt. Sie sitzt meist zuhause in ihrer Hütte, lächelt uns entgegen und spricht ganz enthusiastisch. Sie hat gerade die 10. Klasse mit einer Auszeichnung abgeschlossen, was sogar in der Zeitung stand. Um ihr einmal die schöne Umgebung von Santiniketan zu zeigen, haben wir einen Ausflug mit einem Tuk Tuk organisiert, was sie mit Freude sofort annimmt.

Unser Team - Filmemacher & Aufklärung für die Mütter

 

Wir hatten diesmal Caroline Stiller und Daniela Gomez dabei, welche neue Rezepte mit den Müttern im Dorf zubereiteten, Heilpflanzen verarbeiteten und bei den Hausbesuchen die Mütter mit Postern in Hygiene, Notfälle und Mangelernährung schulten. Auch Jannik Schlüter, ein junger Filmemacher war dabei, der eine Dokumentation von unserer Arbeit erstellte.

„Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt,
das habt ihr mir getan.“
(Matthäus 25, 40)

Kontakt: Shining Eyes e.V. | Dr. Monika Golembiewski | monika.golembiewski@gmx.de | www.shiningeyes.de