Die Armut mit ihren vielen Gesichtern

November 2017

Unsere Sorgenfamilie mit den Kindern Chobi, Akash und Duli kamen auch bald wieder in unser Krankenhaus. Ganz verdreckt, verlaust und verfilzt mit nur wenigen Kleidern am Leib. Also wurden sie wieder gewaschen und eingekleidet und konnten sich mal wieder satt essen. Der sichere Mutterinstinkt, für die eigenen Kinder zu sorgen ist verloren gegangen. Der Kampf ums Überleben ist ihnen so sehr ins Gesicht geschrieben.

Die Mutter muss wiederholt angelernt werden, erst die Kinder zu füttern in dem Vertrauen, dann selbst auch noch genug zu bekommen, ebenso ein basales Hygiene Verständnis. Im Dorf gibt es keine Toiletten, die Notdurft der Kinder fällt eben zu Boden, so auch bei uns im Krankenhaus im Flur, wo dann der Laborant darin ausrutscht. Windeln sind für die Mutter unverständlich, Unterhosen verschwinden irgendwo, nur nicht beim Kind….

So bedarf es viel Geduld, die Mutter zu schulen. Auch im Dorf wird sie gemieden, die Nachbarn wollen, dass wir sie bei uns behalten. Jedoch zeigt sich beim Nachbarkind auch ein massiver Lausbefall an den Augenwimpern, der zu einem ausgedehnten Ekzem im Gesicht führte und dann das Auge schwer entzündete. Unsere Sorgenmutter bedarf viel Liebe und Annahme, auch wenn sie es uns schwer macht, denn aus ihrem Lebensverständnis kennt sie nur Kampf.

Für uns ist es eine große Freude, wenn wir bei Chobi ein Lächeln aus ihrem Gesicht locken können.

Ängste überwinden...

Wir hatten uns schon sehr lange bemüht, für eine junge 20-jährige Patientin mit einem ausgedehnten Gefäßgeschwulst an einem Bein, eine Operationsmöglichkeit zu finden. Das Bein hatte eine Beuge-Kontraktur und sie konnte es nicht mehr strecken und lief am Stock, den sie wie eine Stelze benutzte, auch der Fuß war ganz deformiert. Nach ausführlicher Diagnostik hatten wir endlich ein Krankenhaus gefunden und schließlich auch einen Orthopäden, der bereit war, zu operieren.

Im letzten Moment jedoch, am Abend zuvor, mussten wir absagen, da unser Koordinator Satya die Operations-Einwilligung unterschrieben hatte, die Eltern weit weg wohnten und die Patientin meinte, ihr Bein würde abgehackt, d.h. amputiert. Nach langen Recherchen fanden wir die Eltern, die abermals zustimmten, falls alles gut geht! Es war nie von Amputation die Rede gewesen, es spukte einfach in ihrem Kopf herum, da sie alles nicht verstehen konnten. Sie sind Hilfen nicht gewohnt, Erklärungen werden nicht verstanden, sie sind auch kaum aus ihrem Dorf herausgekommen, so sind sie doch mit vielen Ängsten belegt. Am nächsten Morgen konnten wir mit Hilfe des Krankenhaus-Direktors und unserem Team alles aufklären und die Operation wurde erfolgreich durchgeführt - das Bein kann nun wieder gestreckt werden.

Liebgewonnener Bettler

Regelmäßig, einmal pro Woche kommt ganz gebückt ein älterer Bettler zu uns ins Krankenhaus und möchte nur 3 Dinge: Geld, Blutdruck-Medikamente und Essen, was er auch stets bekommt. Eines Morgens sehe ich ihn wieder und plötzlich durchfährt es mich: Willst du Jesus so abspeisen? Also hole ich ihn mir in meine „Kindersprechstunde“ und untersuche ihn und finde ein Asthma und einen hohen Blutdruck.Seine Augen leuchten dankbar auf und seine Haltung wird aufrecht. Nun kann er die nötigen Medikamente bekommen, nachdem wir auch geröntgt und eine Blutuntersuchung vorgenommen haben… Zum Glück: der Heilige Geist wirkt! Am nächsten Morgen kommt er gleich wieder, nun in die Kindersprechstunde und will wissen, was bei den Untersuchungen rauskam…. Das finden wir recht selten… Meist müssen wir unseren Patienten hinterherlaufen.

Verborgene Not

Am Sonntag ist in der Kirche neben unserem Krankenhaus feierliche Messe, wo die Santals in Scharen kommen. In bunten Saris gekleidet ist ihre Armut eingehüllt und verborgen. Erst bei den Fürbittgebeten, die von den Santalfrauen einzeln in der Kirchen-Gemeinde vorgetragen werden, lässt sich erahnen, welch schwere Sorgen sie haben…. Der Ehemann trinkt viel Alkohol und bringt kein Geld nach Hause…. Die Frau muss auf dem Bau arbeiten und 3 Kinder ernähren, kochen und waschen…. Das Haus fällt ein…. Kein Geld mehr, um Essen zu kaufen… Das alles höre ich auch täglich in meiner Ambulanz.

Zuletzt konnten wir in so einer Familie helfen, als eine Mutter mit ihrer 15-jährige Tochter zu uns kam. Das Mädchen klagte über Bauchschmerzen und war ganz verstört… Allein, dies war mir ein Signal, das Mädchen aus dieser Situation herauszuholen. Bei den medizinischen Untersuchungen kam nichts heraus. Ich besuchte sie zuhause, wo sie allein mit dem betrunkenen Vater und 2 Brüdern wohl auch einige Schläge abbekommen hatte. Ich konnte erreichen, dass sie in der Schule nebenan einen Internats-Platz bekam, wo sie ganztags vor und nach der Schule bei den Hausaufgaben betreut wird und in einem geschützten Umfeld nun bleiben kann, bis die Mutter von der Arbeit zurückkehrt.

Indischer Kardiologe zur Seite

Unser dynamischer und versierter Kardiologe aus dem fernen Herzzentrum kam wieder zu uns, um unsere Kinder mit auffälligem Herzgeräusch per Ultraschall zu untersuchen. Wegen des Regens kamen nur 10 Kinder, jedoch 3 Kinder hatten einen schweren Herzfehler (Fallot, VSD, ASD) und benötigen dringend eine Operation. Durch ihn können wir diese rasch in die Wege leiten und die Kinder bekommen eine bessere Zukunft. Nicht nur das, er will auch in unserem Krankenhaus junge Ärzte im Herz-Ultraschall schulen, was ein großer Gewinn für unsere Gegend wäre, da es erst 80 km entfernt einen Kinderkardiologen gibt.

Banane statt Keks

Mangelernährung und Anämie bleiben ein Hauptthema in den Dörfern, wo wir unsere Ernährungsprogramme in den Familien nun weiterführen und dort auch reichlich Gemüsegärten anlegen. Damit hat das Kind noch lange nicht eine bessere Ernährung…. Kekse und Trocken-Reis bleiben das Hauptnahrungsmittel der Kinder… Mit ständigen Dorf-Fortbildungen der Frauen, begleitendes Kochen durch unsere Sozialarbeiterin und Schulungen in unserem Krankenhaus versuchen wir die Ernährungsgewohnheiten zu ändern, z.B. eine Banane gegen 5 Kekse auszutauschen, was den gleichen Preis ausmacht. Also müssen wir auch den Dorfladen nun überzeugen, mehr Bananen anzubieten….

 

Nun versuchen wir in allen Familien mit Kindern unter 3 Jahren Nutrimix (Getreide-Linsen-Milchbrei) zu kochen, dessen Pulver auch leicht  selbst und günstig hergestellt werden kann. Amaranth- und Moringapulver werden als Eisen- und proteinreicher Zusatz hinzugefügt…. Allein das Vertrauen der Mütter und Kinder zu uns und das Herzensband zwischen uns macht diese Dorfarbeit möglich.

Operationen erringen

In unserer Ambulanz erscheint eine Familie mit einem 1 ½ jährigen Kind. Es war vom Bett gefallen und hatte am Rücken 2 ausgedehnte Blutergüsse. Sogleich schickte ich das Kind zu einem Chirurgen, um den Erguss punktieren zu lassen. Der sandte es weiter zum Ultraschall und diese wollte lieber ein CT machen, was alles mit Bericht 1 ½ Tage dauerte. Selbst in der Uniklinik wurde das Kind abgewiesen…. Mittlerweile lief unaufhörlich Blut in den Rücken und das Kind hatte starke Schmerzen. Also brachten wir als letzte Hoffnung das Kind in das „Hope Hospital“ in Kalkutta, wo wir eine gute Verbindung hin haben und das Kind wurde dort auch gleich operiert und hat sich auch rasch erholt.

Kurze Zeit später kam ein junges Mädchen mit ausgedehnten Verbrühungen am rechten Arm und Brustkorb, es war im Internat mit dem Arm in den kochenden Reistopf gefallen, nachdem die Mädchen spielend sich gebalgt hatten. Im nah liegenden Krankenhaus bekam sie nur Medikamente, jedoch keine Wundversorgung, sodass sie von den Internatsschwestern zu uns gebracht wurde, wo wir sie auch gerne versorgen und versuchen, zu trösten.

Es ist wirklich schwer für die Armen, die nötigen Operationen zu bekommen. Ein Kind mit einem Schiefhals nach eingebrochenem 1. Halswirbel in das Rückenmark zeigte im MRT schon eine Kompression des Rückenmarks, konnte jedoch noch alle Extremitäten bewegen. Wir brachten es zu einem uns bekannten Neurochirurgen, der jedoch diese riskante OP ablehnte. Durch die Hilfe von unserem Neuropädiater Swapan machte ich mich auf den Weg nach Kalkutta in eine neurochirurgische Klinik und versuchte selbst mein Glück…. Tatsächlich wurde ich auch sogleich in einer mehr als überfüllten Klinik zum Neurochirurgen vorgelassen, sogar zum Chefarzt, um die notwendige Operation zu erläutern. Auch wurde unser Kind gleich stationär aufgenommen und bekam einige Tage später die lebensrettende Operation.

Mit Herzenswärme

Wir hatten dieses Mal eine sehr engagierte deutsche Kinderkrankenschwester, Christine bei uns, die überall ihre hilfreichen Hände anbot und vor allem ausgiebige Putzseminare gab. Sie hat in Bolpurs Läden so lange gesucht, bis sie die richtigen Utensilien, sehr arbeitserleichternd für uns gefunden hatte. Mit liebevollen Gesten leitet sie unsere Krankenschwester an, hat Ernährungsseminare für unsere Mütter abgehalten und vor allem unsere Kinder sehr ins Herz geschlossen und ihnen mit viel Herzenswärme neue Spielideen vermittelt.

Wieder neue Küchengärten

Anne und Rolf Bucher haben gemeinsam mit Nilu wieder viele Dörfer besucht und die neue Gemüse-Aussaat begleitet und bei uns im Krankenhaus ein Gemüsegarten-/Moringa-Seminar durchgeführt.

Unter Gottes Segen

Mittlerweile fühlt auch unser Personal, dass wir unter Gottes Segen stehen und bemerken, dass uns dieses Kind nun von Gott geschickt wurde, damit Seine Hilfe durch uns wirksam werden kann.